Das Atelier im Jahr 2016

Am ersten Sonntag des jungen Jahres kämpfen wir uns knapp 120 Kilometer nach Nordosten durch gefrierenden Schneematsch. In Oppenwehe wollen wir uns einen alten Resthof anschauen, erst mal von außen. Ein paar Tage später ist ein Besichtigungstermin und dann geht alles ganz schnell. Im April haben wir ein neues Zuhause. Es ist ein Backsteinhof von 1893. Eine Scheune, ein Kuhstall, ein Schweinestall und ein halber Hektar Mähwiese. Vor Ort kennt man ihn als den Prießhof.

Die Sonne geht unter hinter unserer Wiese im Mai

Anfang März fahre ich für ganze drei Wochen am Stück ins Atelier im Süden. Ich will das Shakespeare Sonett drucken für das Projekt der Bodleian Library zu des Barden 400. Geburtstag. Es werden am Ende zwei Varianten, eine klassische und eine experimentelle mit Linolätzung. Dazu wird auch noch ein Handzettel für die Messe TurnThePage in Norwich fertig.

Arbeit am Sonett 89 von William Shakespeare

Ende April ziehe ich in eines der Zimmer im Resthof. IIn den anderen werden die Prägetapeten durch Rauhfaser ersetzt und gestrichen vom Maler. Ende Mai können wir, nach „nur“ 13 Monaten Einlagerungszeit, bei der Spedition den Container mit unseren Sieben Sachen abrufen und richtig einziehen. Im Stroh auf dem Dachboden finden sich neben dem Gerippe eines Marders eine alte zweiflügelige Tür, eine nagelneue Schiebkarre, ein Eimer voller schwarzer Knöpfe und jede Menge Reste von Fliesen.

Ein Ladewagen auf der Deele: für das alte Stroh vom Dachboden

Im Juni startet der Umbau des alten Kuhstalls: hier soll der Drucksaal entstehen. Der ganze Umzug hat die Charakteristika eines Verschiebespiels. Zunächst müssen 12 Tonnen alte Möbel im Stil Eiche Rustikal vom örtlichen Entsorger abgeholt werden. Wir brauchen den Platz auf der Deele, um die Ausstattung aus der Buchbinderei unterzubringen. Die muss im alten Atelier zuerst raus, sonst können die Druckpressen und Setzregale nicht bewegt werden – durch das viele Umräumen ist es im Atelier recht eng geworden. Anfang August holen wir einen ersten Teil der Buchbinderei im Miet-LKW. Ende August fahren wir ein zweites Mal. Beim Einladen im Süden bekommen wir tatkräftige Unterstützung von Denny, die unermüdlich hilft, Papier-Ries einzuladen. Beim Ausladen packen die Oppenweher Nachbarn mit an, soweit sich das mit ihrer Arbeit im Kuhstall verzahnen lässt.

Anfang September ist der Backsteinboden aus dem Kuhstall entfernt. Die Backsteine werden später zum Hochbeet für Küchenkräuter.

Das Hochbeet aus den alten Backstein ist fast fertig, im Hintergrund blühen erste Sonnenblumen

Mitte September sind die neuen Fensterdurchbrüche gemacht. Die Schwalben machen sich einen Spaß daraus, durch die neuen Öffnung zu flitzen und Fliegen zu fangen. Schon bald werden sie uns verlassen und in den Süden ziehen.

Auf dem Dachboden und in der Scheune muss immer noch laufend Stroh abgetragen werden. Bei der dritten Fahrt mit dem Miet-LKW kommen schon erste Schriftkästen mit nach Oppenwehe und Pflanzkübel – wir haben Ende September. Während Günter den Miet-LKW zurückgibt, werfen die Jungs vom Betonwerk die Betonpumpe an: heute soll der Fußboden werden im künftigen Drucksaal.

Und jetzt kommt der knifflige Teil. Mitte Oktober bin ich für gut eine Woche im alten Atelier, um die Druckpressen und Setzregale für den Transport vorzubereiten. Die Spedition lädt am Montag 40 Europaletten ab, und in der Woche drauf am Dienstag wird aufgeladen. Bis dahin muss jedes Setzregal transportfertig auf seiner Palette stehen.

Jedes Setzregal muss am Ende auf einer Europalette stehen.

Das Umreifen machen die Profis. Am Sonntag kommt Ivonne vorbei auf einen Tag im Atelier mit lecker Essen und Kuchen, und sie packt mit an bei den großen Arbeitsplatten, die schlicht zu schwer und sperrig sind, als dass einer alleine sie bewegen könnte. Dienstag Mittag kommt der Sattelzug, Regale und Druckpressen wuppt der Gabelstapler auf den Auflieger, die Ladung wird gesichert – fertig. Die restlichen Paletten mit Regalen reisen zusammen mit dem Gabelstapler im 16-Tonner. Ich fahre Mittwoch nach Norden und Donnerstag kommt der Sattelzug mit 3 Stunden Verspätung aber wohlbehalten zum Abladen.

Die Setzregale sind grade abgeladen, da fängt es an zu nieseln.

Die Setzregale werden in der Scheune zwischengelagert, bis der Drucksaal eingeräumt werden kann. Auf Ende Oktober können wir das angemietete Atelier, in dem das Atelier bleiklötzle 12 Jahre lang gearbeitet hat, übergeben – leergeräumt. Eine letzte Fahrt mit dem großen Miettransporter und der Standort Wäschenbeuren ist Geschichte.

Die KORREX und die Grafix Andruckpressen sowie eine Werkbank sind abgeladen .

In den letzten Oktobertagen werden die neuen Fenster im Drucksaal-in-spe eingesetzt. Anfang November kommen die Kraniche nach Oppenwehe. Der Betonboden im Drucksaal ist ausgehärtet, jetzt kann der Verputz an die Wände, die Kabelrinnen an die Decke – die Rampe am Einstieg zum Drucksaal entsteht.

Ein erster Gartenplan wird gezeichnet – nicht ahnend, dass Dürre, Engerlinge und Wühlmäuse bei der Umsetzung noch über viele Jahre ein kräftiges Wörtchen mitreden werden. Im Sommer blühen auf ersten Beeten erste Wildblumen und Sonnenblumen. Feldhasen machen erste Fraßschäden an frisch gepflanzten Obstbäumen. Erste Plätzchen werden gebacken. Der erste Winter kommt bald. Und die Setzregale stehen immer noch in der Scheune.

Unsere Wiese im Winter, hier Anfang Januar 2017

Was sonst noch geschah:

Teilnahme an der 11. Norddeutschen Handpressenmesse in Hamburg – Heinz-Stefan Bartkowiak, einer ihrer Gründer, stirbt wenige Wochen vor der Messe.

Ich werde Mitglied bei der Oxford Guild of Printers (OGP)

Am Tag des Brexit-Referendums fahren wir nach Großbritannien: ich stelle aus auf der jurierten Künstlerbuchmesse TurnThePage in Norwich: Book Prize Nominee

Im Jahr 2016 werden publiziert:

Sonett 89“ von William Shakespeare in 2 Versionen für das Projekt der Bodleian Library, Oxford (UK)

Kollaboration: Die 154 Sonette von William Shakespeare

Die Bodleian Library in Oxford (UK) hat im Jahr 2016 Kunstschaffende weltweit aufgerufen, eines der 154 Sonette von Shakespeare in einer zeitgenössischen Version zu drucken. Anlässlich des 400. Geburtstages des britischen Barden sollten alle Sonette neu aufgelegt werden. Mein lieber Kollege Miles Wigfield macht mich darauf aufmerksam und ich kann noch eines der verbliebenen Sonette zugewiesen bekommen: Nr. 89. Letztlich sind dabei zwei Varianten entstanden, eine klassische, gesetzt aus der Baskerville, und eine experimentelle mit Linolätzung und Satz aus der Futura.

Kontakt

Oxford Guild of Printers (OGP)

Norddeutsche Handpressenmesse, ist heute „BuchDruckKunst – Erlesenes auf Papier“ in Hamburg

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Wird fortgesetzt – nächste Folge am 26. Mai 2024

Comments

  1. Liebe Annette

    Eine gigantische Arbeit – bewundernswert! Meine Hochachtung

    in freundschaftlicher Verbundenheit

    Anne Schulze Lammers

    1. Liebe Anne, ganz lieben Dank! Annette

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