Das Atelier im Jahr 2020

Für März ist der Oxford Fine Press Book Fair geplant. Tisch, Flug und Quartiert sind fest gebucht. Ausgelöst durch die Turbulenzen wegen der Corona-Pandemie wird zunächst der Flug durch British Airlines gestrichen, was letztlich dazu führt, dass ich meine Teilnahme an der Messe absagen muss. Ich habe Glück: die Absagen kommen sofrüh, dass ich die Kosten für Flug und Quartier erstattet bekomme. Dann wird die Messe zwei Mal verschoben und findet am Ende in 2020 gar nicht statt. Die Verantwortlichen der FPBA in Großbritannien entscheiden fix: Wenn Besucher nicht zur Messe dürfen, dann kommt die Messe eben zu den Besuchern. In rekordverdächtig kurzer Zeit wird der Marketplace-Newsletter auf die Beine gestellt. In regelmäßigen Abständen kommt auf diese Weise jeweils sozusagen ein Gang der Messe mit fünf Tischen zu den Abonnenten – kontaktfrei per eMail. Vorgestellt werden die Werke, die bei der Messe auf dem Tisch gelegen hätten.

In rund einem Dutzend dieser Newsletter können alle Aussteller ihre neuen Werke so doch noch präsentieren. Der Marketplace-Newsletter wird zu einem festen Service, über den bis heute weltweit neue Bücher vorgestellt werden. Meine beiden neuen Werke sind die Künstlerbücher „Earliest Spring“ mit einem Gedicht von William Dean Howells und „Three Sonnets“ mit Gedichten von William Wordsworth.

Künstlerbuch mit drei Sonetten von William Wordsworth

Als Antwort auf den weitreichenden Lockdown wird die Website „Manufaktur Papiergebunden“ zum kontaktfreien „Offenen Atelier im Internet“ umgebaut. So kann man von zuhause aus gemütlich im gesamten Angebot stöbern und per eMail bestellen. Die Domain des Ateliers bleiklötzle wird zum „Platz für Bleilettern“. Hier sind Informationen gesammelt über Bleischriften, Themen zu Buchdruck und Handsatz und es gibt eine Liste von Literatur zu und über die alten Gewerke.

Künstlerbuch mit einem Gedicht von William Dean Howells

Der zweite „Tag der Druckkunst“ muss weitestgehend kontaktfrei stattfinden, also auf der Atelierwebsite. Mit den aktuellen Einschränkungen für Veranstaltungen in Innenräumen sind Offene Ateliers oder Messen für Buchkunst und Druckgraphik praktisch nicht durchzuführen. Wie lange dies dauern wird, ist nicht abzusehen. Solange weder Medikamente noch Impfstoffe gegen das neue Virus verfügbar sind, bleibt uns als einzige Waffe, die Ausbreitung so weit wie möglich zu verlangsamen, indem wir Ansteckungen so gut es geht reduzieren.

Einblattdruck mit einem Gedicht von Thomas Nashe, mein Beitrag zur deluxe Ausgabe von Parenthesis in 2021

Getreu dem Motto „Wenn wir am Lockdown schon nichts ändern können, dann machen wir das Beste draus.“ widme ich die Vormittage der Philosophie und die Nachmittage der Gartenarbeit. Die Rhododendren brauchen einen neuen Platz, da wo sie stehen, ist es ihnen zu trocken. Hinterm alten Schweinestall ist es schattig und feucht. Ich fange an zu graben und am Ende sind rund fünf Tonnen Bauschutt in der Mulde für den Entsorger zum Abholen.

Nun scheint endlich die Zeit gekommen, für ein Projekt, das mich schon lange reizt: ein Werk zur Philosophie von Henri Bergson. Ein Zeitraum ohne Messen und Kistenpacken ist ideal dafür, sich in ein komplexes Thema einzulesen. An der University of Keele (UK), wo ich in den 1980-er ein Jahr lang studiert habe, wurde Philosophy for Science angeboten. Diese einmalige Chance habe ich sofort ergriffen und viel Interessantes dadurch gelernt. Seither gehört die Philosophie zu den Gebieten, die mich faszinieren. Der französische Philosoph Bergson hat seine ganz neue Sichtweise auf Zeit und Dauer zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfasst. Seine Schriften waren der Pariser künstlerischen Avantgarde, der auch Braque, Picasso und andere Kubisten angehörten, durchaus bekannt.

Das Jahr, das vieles auf den Kopf gestellt hat, was wir für gegeben hielten, neigt sich seinem Ende zu. Im „Offenen Atelier im Internet“ wird ein Adventskalender eingerichtet. Vom 1. Advent bis zum Heiligen Abend gibt es Geschichten und Essays rund ums Atelier, den Handsatz und Buchdruck zu lesen. Alle Beiträge sind unter der Rubrik „Advent“ dauerhaft auf der Website zu finden.

Lotta gibt dem „Sitzenden Setzer“ ihr OK.

Und kurz vor Weihnachten bringt die Spedition ein neues Werkstattmöbel: den „Sitzenden Setzer“, ein Setzregal mit Schwenkhocker. Bei meinem lieben Kollegen Karl Kretschmer ist das gute Stück übrig, und er fragt nach, ob ich vielleicht noch ein Plätzchen dafür habe. Und, ja klar, mit ein bißchen umräumen – aber das kennen wir mittlerweile ja. Lotta muss das Möbel freilich erst einmal in Augenschein nehmen und gründlich abschnüffeln, aber dann kann sie ihr OK geben.

Was sonst noch geschah:

Die Übergangsphase zum Brexit ended dieses Jahr, und das UK wird dann letztlich nicht mehr Mitglied der Europäischen Union sein.

Im Jahr 2020 werden publiziert:

Earliest Spring“, Künstlerbuch mit einem Gedicht vony William Dean Howells (english), mit zwei Linolschnitten.

Three Sonnets“, Künstlerbuch mit drei Sonetten von William Wordsworth, Ganzgewebeband mit Schutzumschlag

Kontakt

ZurAnmeldung für FPBA-Marktplatz-Newsletter gehen Sie zu:uksec@fpba.com

Open Studio on the Internet (Deutsch)

Ein Platz für Bleilettern (Deutsch, teilweise mit Englisch)

Ausgrabungen in unserem Garten

Wird fortgesetzt – nächste Folge am 10. Juni 2024

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert